Donnerstag, 18. November 2010

Bundesregierung verhindert wirksame Kontrolle des Antibiotika-Einsatzes in der Massentierhaltung

Hamburg - Das Bundeslandwirtschaftsministerium lässt trotz heftiger Kritik von Opposition und Datenschützern unkontrollierten Medikamenteneinsatz in der Massentierhaltung zu.
Die stellvertretende Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzende Bärbel Höhn spricht im 
Radioprogramm bei NDR Info von einem Skandal. Datenschützer 
bezeichnen die Begründung für zahlreiche Ausnahmen in der 
entsprechenden Bundesverordnung als nicht einleuchtend und 
unverhältnismäßig. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter 
Schaar, will nun die rechtlichen Grundlagen prüfen. Das Ministerium 
hatte NDR Info mitgeteilt, dass der Datenschutz Grund für die 
Ausnahmen bei der Medikamentenkontrolle sei. Zu starker Einsatz von 
Antibiotika kann bei Menschen dazu führen, dass sich resistente 
Stämme bilden, die Mittel also im Falle einer Krankheit nicht mehr 
wirken. Nach Angaben des bundeseigenen Robert-Koch-Instituts in 
Berlin sterben jährlich mehr als 15.000 Menschen in Deutschland an 
multiresistenten Keimen.

   Eigentlich sollte durch eine neue Datei von 2011 an kontrolliert 
werden, wohin wie viele Antibiotika geliefert werden - unter anderem 
durch eine Angabe der vollständigen Postleitzahl des verordnenden 
Tierarztes. Nach langer Diskussion über die entsprechende 
Bundesverordnung müssen jetzt generell nur noch die ersten beiden 
Ziffern der Postleitzahl erfasst werden. Der Geflügel-Bereich ist von
der Kontrolle sogar ganz ausgenommen. Auf Anfrage von NDR Info 
begründete das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und 
Verbraucherschutz die Ausnahmen mit dem Datenschutz. Tierärzte und 
Mäster wären sonst zu leicht zu identifizieren. Das gelte besonders 
für Geflügel - mehr als die Hälfte der Produzenten sind in 
Niedersachsen ansässig. Ein Hörfunkinterview mit NDR Info lehnte das 
Ministerium ab.

   Die Datenschutzbeauftragten des Bundes, Peter Schaar, und des 
Landes Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, verlangen nun Aufklärung 
vom Ministerium. Schaar sagte NDR Info, in diesem Fall sei der 
Verbraucherschutz wichtiger als der Datenschutz. "Hier gibt es ein 
überwiegendes Allgemeinwohlinteresse, das die Preisgabe nicht nur der
Postleitzahl, sondern auch des Tierarztnamens  rechtfertigen würde", 
ergänzte Weichert, der die Argumentation des Ministeriums als 
"Unsinn" bezeichnete. Ein Tierarzt, der einen derartigen Einfluss auf
die Vergabe von Medikamenten habe, müsse natürlich mit seinem Namen 
dafür einstehen und sich kontrollieren lassen. Zudem würden die Daten
in einer geschützten Datei gespeichert, die nicht öffentlich 
zugänglich sei. "Das Bundeslandwirtschaftsministerium riskiert die 
Gesundheit Tausender Deutscher. Es gibt eine direkte und akute 
Gefährdung von Menschen", kritisierte die Vize-Vorsitzende der 
Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzende der Grünen, Bärbel Höhn, im 
Gespräch mit NDR Info. Der massenhafte Einsatz von Antibiotika führe 
dazu, dass jährlich mehr als eine halbe Millionen Menschen an 
multiresistenten Keimen erkrankten, so Höhn. Das Ministerium sei vor 
der Fleisch-Lobby eingeknickt: "Das ist doch logisch, wer dahinter 
steckt - nämlich die Geflügelbranche, die hat da gute Arbeit 
geleistet. Daran hat doch sonst kein anderer Interesse", so die 
ehemalige Verbraucherschutzministerin von Nordrhein-Westfalen.

   Der Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft bestätigt, 
dass die neue Datei nicht direkt zur Erfassung von Arzneimitteln 
dienen kann. Dies sei Aufgabe von Geflügelhaltern und Mästern mit der
bestehenden internen Dokumentationspflicht. Den Vorwurf, Druck auf 
die Politik ausgeübt zu haben, weist der Verband entschieden zurück. 
Experten empfehlen seit Jahren, die Warenströme von Medikamenten zu 
dokumentieren. So heißt es in dem Antibiotika Resistenz-Atlas 
"Germap" 2008 des Bundesamtes für Verbraucherschutz, dass kein 
Interesse der Geflügelproduzenten bestehe, "an einem freiwilligen 
nationalen Resistenzmonitoring teilzunehmen. Hier scheinen 
gesetzliche Regelungen notwendig, die die Betroffenen zur Teilnahme 
verpflichten."

   Anfang des Jahres hatte der Bundesrat der Verordnung über das 
datenbankgestützte Informationssystem über Arzneimittel des Deutschen
Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) 
zugestimmt. Durch die Verordnung sollten ursprünglich u. a. 
Warenströme vom Pharmahersteller über den Großhändler zum Tierarzt 
transparent gemacht werden. Bislang gibt es keine detaillierten 
Zahlen über den Medikamenteneinsatz in der Nutztierhaltung.

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