Montag, 22. November 2010

Arbeitslosigkeit von Älteren um 50% höher als offiziell benannt

Mainz - Die tatsächliche Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitslosen über 58 Jahren ist um etwa 50% höher, als aus der offiziellen Zahl der Bundesregierung hervorgeht.
Das belegen Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit, die dem ARD-Politikmagazin
"Report Mainz" vorliegen (Sendung: 22.11., 21.45 Uhr im Ersten).

   Demnach werden zurzeit rund 149.000 Arbeitslose über 58 Jahren 
nicht in der offiziellen Arbeitslosenzahl (Oktober 2010: 2,95 Mio.) 
berücksichtigt. Der Grund: 63.000 über 58-Jährige sind mit 
"arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen" beschäftigt. Dazu gehören u. a. 
Bewerbungstraining oder Existenzgründungsförderung. Sie stehen dem 
Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung und gelten somit nicht als 
arbeitslos. Hinzu kommen 85.960 Langzeitarbeitslose (Stand: Oktober 
2010), die aufgrund einer "vorruhestandsähnlichen Regelung" aus den 
offiziellen Arbeitslosenzahlen herausfallen.

   So waren im Oktober 2010 nicht nur 302.970 über 58-Jährige ohne 
Job, sondern tatsächlich rund 450.000. Das sind fast 50% mehr. Die 
Zahl der älteren Langzeitarbeitslosen, die unter die sogenannte 
"vorruhestandsähnliche Regelung" fallen, steigt zudem stark an. 
Wurden im Oktober 2009 noch 45.009 Langzeitarbeitslose aus der 
offiziellen Arbeitslosenzahl heraus gerechnet, sind es heute bereits 
85.960.

   Die "vorruhestandsähnliche Regelung" geht zurück auf den §53a 
SGBII und sieht vor, dass Langzeitarbeitslose über 58 Jahre nicht als
arbeitslos gelten, wenn sie mindestens für die Dauer von zwölf 
Monaten Arbeitslosengeld II  bezogen haben, ohne dass ihnen eine 
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten worden ist. 
Diese "neue" 58er-Regelung trat am 1.1.2008 in Kraft, nachdem die 
"alte" 58er-Vorruhestandsregelung, die ALG I-Empfänger betraf, 
abgeschafft worden war.

   Vor dem Hintergrund der Diskussion um eine längere 
Lebensarbeitszeit bekräftigt auch Wirtschaftswissenschaftler Prof. 
Bert Rürup die Kritik der Bundesagentur für Arbeit. Prof. Rürup in 
"Report Mainz": "Ich halte es für falsch, diesen Personenkreis aus 
der Zahl der registrierten Arbeitslosen rauszurechnen, gerade wenn 
man das Renteneintrittsalter hochhalten will, da ist statistische 
Ehrlichkeit angezeigt." Rürup gilt als Erfinder der Rente mit 67.

   Auch Dr. Martin Brussig, Arbeitsmarktexperte am Institut für 
Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen, ist 
gegen den Fortbestand dieser Regelung: "Der §53a gehört abgeschafft, 
denn er bietet den Vermittlern die Möglichkeit, durch das 
Unterlassen, Ältere aus der Arbeitslosigkeit rauszunehmen. 
Normalerweise kann ein Vermittler die Arbeitslosigkeit dadurch 
senken, dass er Arbeitssuchenden Jobangebote unterbreitet. Bei 
Älteren kann er sie dadurch senken, dass er ihnen keine Jobangebote 
unterbreitet."

   Bereits bei der Einführung der "vorruhestandsähnlichen Regelung" 
(§53a SGBII) im Januar 2008 hatte die Bundesagentur für Arbeit in 
einer Stellungnahme mit deutlichen Worten Kritik geübt: "Dies geht 
über das bisherige Kriteriensystem hinaus und widerspricht letztlich 
der gemeinten Bedeutung von Arbeitslosigkeit, nämlich der 
unfreiwilligen Beschäftigungslosigkeit. Dieser Bedeutungswandel, auch
wenn er nur für einen kleinen Teil der Arbeitslosen eintritt, setzt 
die BA dem nicht zumutbaren Risiko eines Vorwurfs der Manipulation 
von Arbeitslosenzahlen aus. (...) Die BA plädiert für den Verzicht 
auf die Regelung." (Ausschussdrucksache 16 (11) 882, S. 10)

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